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Wegweisendes neues Gesetz über Gewalt gegen Frauen in Tunesien

Nach zwanzigjährigem Kampf haben die Frauen in Tunesien gemeinsam mit feministischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen des Landes sowie dem Frauenausschuss der ITF-Gewerkschaft UGTT ein wegweisendes neues Gesetz für die Beseitigung aller Formen von Gewalt auf der Grundlage von Geschlechterdiskriminierung, Verletzung der Menschenwürde und Missachtung der Gleichstellung von Männern und Frauen durchgesetzt.

Das Gesetz wurde am 26. Juli 2017 von der Abgeordnetenversammlung des tunesischen Volkes (Parlament) einstimmig verabschiedet. 

Es ist einzigartig in der arabischen Welt und eines von nur 19 Gesetzen weltweit, die geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen zum Inhalt haben.

Zentrale Aspekte des neuen Gesetzes

  • Die Identifizierung von Gewalt gegen Frauen und ihrer unterschiedlichen Ausprägungen (körperliche, sexuelle, wirtschaftliche oder politisch-moralische Gewalt).
  • Neben Frauen bezieht das Gesetz in seiner Definition des Begriffs "Opfer" Kinder im Sinne des Kinderschutzkodex ein.
  • Die Verpflichtung des Staates, Frauen, die Opfer von Gewalt sind, sowie den mit ihnen lebenden Kindern zu helfen, steht im Einklang mit den folgenden allgemeinen Grundsätzen:
  • Respektierung der Entscheidung des Opfers und Schutz seiner persönlichen Daten.
  • Die Verpflichtung zur Gewährleistung von Chancengleichheit und gleichen Leistungen in allen Regionen des Landes.
  • Das Angebot rechtlicher, sozialer, medizinischer und psychologischer Unterstützung der Opfer.
  • Die verbindliche Ergreifung von Maßnahmen zur Vorbereitung und Umsetzung einer Strategie auf Ebene staatlicher Institutionen (Bildung, Gesundheit, Kultur, Frauen), um die öffentliche Meinung für Gewaltdelikte gegen Frauen und die Ungleichbehandlung der Geschlechter zu sensibilisieren.
  • Die Verpflichtung des Staates (Artikel 6), alle notwendigen Maßnahmen für die Bekämpfung von Haltungen und Handlungen zu ergreifen, die Frauen auf Ebene sozialversicherungspflichtiger Bezahlung in allen Sektoren diskriminieren, das Verbot der ökonomischen Segregation von Frauen und Männern und der Beschäftigung von Frauen zu Bedingungen, die ihrer Gesundheit und Würde schaden.
  • Der Staat ist dazu verpflichtet, über das Justiz- und das Innenministerium in deren jeweiligen Einrichtungen Schulungs- und Bildungsprogramme anzubieten, um Methoden für den Umgang mit Beschwerden im Zusammenhang mit Gewalt gegen Frauen zu entwickeln.
  • Die Verpflichtung öffentlicher und privater Massenmedien, Mechanismen und Maßnahmen zur Sensibilisierung für Gewalt gegen Frauen umzusetzen.
  • Das Verbot von Werbung oder der Veröffentlichung von Materialien, die das Ansehen von Frauen herabsetzen und Gewalt an Frauen Vorschub leisten.

Schutz vor Straftaten

Gegen Frauen begangene Straftaten unterliegen schweren strafrechtlichen Sanktionen, die jegliche Gewaltakte gegen Frauen (moralisch, physisch, wirtschaftlich, psychisch und sexuell) umfassen.

Eine besonders bemerkenswerte Neuerung ist die Streichung von Artikel 227 B des Strafgesetzbuchs, wonach Täter einer Bestrafung entgehen konnten, wenn sie sich bereit erklärten, ein minderjähriges Opfer (unter 15 Jahren) zu heiraten.

Das neue Gesetz verschärft stattdessen die Bestrafung von Tätern, selbst wenn das Opfer (unter 16 Jahren) die Anzeige zurückzieht, und zieht eine Eheschließung in keinster Weise in Betracht.

Das Gesetz erachtet wirtschaftliche Diskriminierung als eine Straftat, die mit angemessenen Geldbußen geahndet wird.

Die Beschäftigung von Kindern im häuslichen Umfeld wird mit einer Freiheitsstrafe von drei bis sechs Monaten zuzüglich einer Geldbuße bestraft.

Die wichtigsten Durchsetzungsmaßnahmen

  • Die Schaffung einer unabhängigen Strafkammer für Ordnungswidrigkeiten und Straftaten in Verbindung mit Gewalthandlungen.
  • Die Schaffung von Sicherheitsabteilungen in den einzelnen Regionen, denen Frauen angehören und die auf Gewaltdelikte gegen Frauen spezialisiert sind. Das Gesetz definiert die Maßnahmen, die zur Unterstützung von weiblichen Gewaltopfern zu ergreifen sind:
  • Unterstützung im Falle von Verletzungen und Schädigungen infolge von physischer, psychischer, moralischer und sexueller Gewalt.
  • Bereitstellung von Unterkünften für Gewaltopfer und ihre Kinder.
  • Psychologische oder soziale Begleitung bei bestimmten Anzeigen.
  • Einrichtung einer nationalen Überwachungsbehörde für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen mit weitreichenden Kompetenzen und Ressourcen.