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Junge Verkehrsbeschäftigte und Covid-19

NACHRICHTEN 01 Jun 2020

Unsere Mitglieder, die Gegenwart und die Zukunft der Gewerkschaftsbewegung

Junge Beschäftigte sind von den verheerenden wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie in besonderem Maße betroffen. Die Pandemie wirkt sich auf alle Aspekte des Lebens aus: Hunderttausende von Menschen sind gestorben, Millionen haben ihre Arbeitsplätze verloren und ganze Sektoren der Weltwirtschaft sind zum Stillstand gekommen. Für die Beschäftigten hat die Pandemie schwere, aber ungleiche Folgen. Während ältere Menschen am schlimmsten durch die Krankheit selbst gefährdet sind, sind jüngere Menschen schärfer von ihren desaströsen wirtschaftlichen Folgen betroffen. 

Eine*r von zehn Beschäftigten unter 30 Jahren wurde in den letzten Monaten arbeitslos. Über 70 Prozent der jungen Beschäftigten arbeiten seit dem Beginn der Pandemie weniger und verdienen auch weniger als ältere Arbeitnehmer*innen. Unter den derzeitigen Gegebenheiten wird sich daran in naher Zukunft auch nichts ändern. Die meisten jungen Beschäftigten halten es für sehr wahrscheinlich, bis August dieses Jahres ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Fehlende Netzwerke und Erfahrung machen es schwerer für sie, andere menschenwürdige Arbeit zu finden, sodass sie sich möglicherweise gezwungen sehen, sozial und rechtlich weniger abgesicherte Tätigkeiten anzunehmen.

Für die jungen Beschäftigten im Verkehrssektor ist das Risiko eines Arbeitsplatzverlusts oder verringerter Beschäftigung besonders hoch. Sie sind aufgrund ihrer vergleichsweise kurzen Betriebszugehörigkeitszeit häufig benachteiligt und genießen dementsprechend weniger Sozialschutz. Viele junge Beschäftigte im Luftverkehrssektor haben ihre Arbeitsplätze verloren. Die Kostensenkungsstrategien der Fluggesellschaften und Flughäfen werden weitere Verschlechterungen der Beschäftigungsbedingungen nach sich ziehen, insbesondere für junge Erwerbstätige. Auf ähnliche Weise sind auch Hunderte von jungen Hafenbeschäftigten rund um den Globus aufgrund ihres Vertragsstatus arbeitslos geworden.

Junge Menschen unterliegen einem höheren Digitalisierungs- und Automatisierungsrisiko als jede andere Altersgruppe. Aus einer jüngsten Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) geht hervor, dass die Tätigkeiten, die sie durchführen, mit größerer Wahrscheinlichkeit teilweise oder völlig automatisierbar sind.

Junge Beschäftigte sind zudem in einigen der am stärksten marginalisierten Beschäftigtenkategorien überrepräsentiert. 77 Prozent der jungen Arbeitskräfte weltweit sind informell beschäftigt, was ihre Gefährdung während dieser Krise erhöht. Informell beschäftigte junge Arbeitnehmer*innen verloren oftmals quasi über Nacht ihre Arbeit oder müssen nun unter unsicheren Bedingungen arbeiten.

Die Arbeitskräfte in den sich ausbreitenden atypischen Beschäftigungsformen, in der Gig Economy, insbesondere in städtischen Gebieten, bei Essenslieferdiensten und Fahrdienstvermittlungen arbeiten in vielen Städten der Welt auch während der Pandemie weiter. Obwohl sie wesentliche Dienstleistungen erbringen, ist ihre Beschäftigung nach wie vor prekär, ihre Bezahlung schlecht, ihre Arbeitszeit unregelmäßig, und sie genießen so gut wie keine Beschäftigungssicherheit, schlechteren oder gar keinen Arbeitsschutz, keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und nur geringen bis gar keinen Sozialschutz. Aufgrund der Lockdowns sind die Einkommen der Beschäftigten in der Gig Economy gesunken, wofür die Unternehmen keinerlei Verantwortung übernehmen, indem sie sich weiter hinter Scheinselbständigkeitskonstruktionen verstecken. Das bedeutet auch, dass diese Beschäftigten von staatlichen Lohnkostenzuschuss- und Hilfsprogrammen ausgeschlossen sind.

In der wachsenden informellen Wirtschaft des globalen Nordens sind auch immer mehr Wanderarbeitnehmer*innen beschäftigt. Über 70 Prozent der internationalen Wanderarbeitnehmer*innen sind jung. Im Jahr 2019 waren über 38 Millionen der internationalen Migrant*innen unter 20 Jahre alt.

Globale Ungleichheiten führen dazu, dass die Möglichkeit, Arbeit zu finden, selbst unter ausbeuterischen Bedingungen, junge Menschen dazu verleitet, auszuwandern. Junge Migrant*innen leben deshalb meist in dicht bewohnten Umfeldern mit schlechter Wasser- und Sanitärversorgung. Darüber hinaus haben sie aufgrund von sprachlichen und kulturellen Barrieren wenig Zugang zu Informationen. 

Aufgrund ihres Migrationsstatus ist ihnen in der Regel der Zugang zu kostenloser Gesundheitsversorgung versperrt, und sie müssen für Tests, Pflege und Betreuung aus der eigenen Tasche aufkommen. All diese Umstände erhöhen ihre Gefährdung durch das Virus und die Lockdown-Maßnahmen. Weltweit werden Migrant*innen als "Virenüberträger" stigmatisiert und sind Opfer fremdenfeindlicher und rassistischer Angriffe. Sie fallen zudem durch die Maschen der Sozialschutznetze und haben keinen Anspruch auf Lohnbeihilfen oder Wohngeld. Aufgrund der Lockdown-Maßnahmen sind junge Migrant*innen nun arbeitslos und sitzen fern von ihrer Heimat im Ausland fest. Für internationale Migrant*innen bedeutet der Verlust ihres Arbeitsplatzes häufig auch den Verlust ihres Aufenthaltsrechts. Gleichzeitig können sie aufgrund der durch Covid-19 bedingten Reisebeschränkungen nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren.

In dieser beispiellosen Krisenzeit müssen viele junge Beschäftigte ihre Arbeit fortsetzen und systemrelevante Versorgungs- und Dienstleistungen erbringen. So müssen beispielsweise junge Seeleute weiter ihren Dienst tun, obwohl Reisebeschränkungen ihre Ablösung und Heimschaffung erschweren und damit ihre Dienst- und Arbeitszeiten an Bord ausdehnen, wodurch sie länger als geplant von ihren Familien getrennt sind. Nur zu oft steht jungen Beschäftigten in anderen systemrelevanten Sektoren, z. B. im öffentlichen Verkehr, der Lagerhaltung und im Logistikbereich, die die Lieferketten aufrechterhalten, keine adäquate persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung und ihre Arbeitsplätze sind häufig nicht mit ausreichenden Sanitäranlagen ausgestattet. Sie unterliegen einem hohen Risiko, sich mit Covid-19 zu infizieren, und haben dabei nur begrenzten oder gar keinen Anspruch auf Sozialschutzpakete. Aufgrund dieser unsicheren Arbeitsbedingungen sind viele junge Beschäftigte krank geworden und an den Folgen einer Coronavirus-Infektion gestorben.

Durch den Verlust des Arbeitsplatzes, unsichere Arbeitsbedingungen, prekäre Lebensgrundlagen und die Unterbrechung sozialer Beziehungen sind junge Menschen anfälliger für psychische Krisen. In der aktuellen Zeit und möglicherweise auch der weiteren Zukunft kommt es unter ihnen zu emotionalen und psychischen Zusammenbrüchen, die zu Selbstverletzungen bis hin zum Suizid führen könnten. 

Junge Beschäftigte dürfen nicht den Preis für diese Krise zahlen. Sie sind die Gegenwart und die Zukunft der Verkehrswirtschaft und müssen im Zentrum des Wiederaufschwungs stehen. Die Forderungen der ITF zum Schutz der Beschäftigten in den einzelnen Verkehrssektoren gelten auch für junge Arbeitnehmer*innen:

  1. Ausweitung der Bestimmungen zum Schutz von Beschäftigung, Einkommen sowie der Gesundheit und Sicherheit auf alle Beschäftigten, unabhängig von ihrem Beschäftigungsverhältnis, der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit oder ihrer Staatsbürgerschaft;
  2. Befristeter Aufenthalt für alle Migrant*innen, unabhängig von ihrem Status, um ihnen den Zugang zu Gesundheitsversorgung sowie finanziellen und sozialen Unterstützungsmaßnahmen zu erleichtern.

Covid-19 wirft ein Schlaglicht auf die kritischen Risiken junger Arbeitnehmer*innen infolge ihrer zunehmenden Beschäftigung auf unterbezahlten und unzureichend geschützten Arbeitsplätzen. Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entscheidungen und Schwerpunkte sowohl während, als auch nach der Covid-19-Pandemie müssen die Ursachen für die Vulnerabilität junger Beschäftigter – wie prekäre Beschäftigungsverhältnisse, gefährliche Arbeits- und Lebensbedingungen, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, rechtliche Benachteiligung von Arbeitsmigrant*innen, Diskriminierung und informelle Beschäftigung – an der Wurzel packen und die Beschäftigung junger Menschen fördern. 

Junge Verkehrsbeschäftigte fordern, dass alle Maßnahmen in Reaktion auf Covid-19 die folgenden Aspekte berücksichtigen:

  • Alle Beschäftigungs- und Vertragsbeziehungen müssen menschenwürdige Bedingungen für junge Arbeitnehmer*innen gewährleisten, die ihre grundlegenden Rechte bei der Arbeit umfassend schützen und garantieren, und prekärer Beschäftigung sowie allen Formen von Zwangsarbeit und gefährlicher Arbeit einen Riegel vorschieben.
  • Die Beschäftigung junger Menschen muss gefördert werden durch die Unterstützung des Übergangs von der Schule ins Berufsleben, Angebote zur Berufsorientierung und Arbeitsvermittlung, die Förderung qualitativ hochwertiger Ausbildungsplätze, die Bereitstellung von für junge Menschen geeigneten Einstiegsjobs und die Gestaltung eines politischen Maßnahmenkatalogs, um "die volle, menschenwürdige, produktive und frei gewählte Beschäftigung" gemäß IAO-Übereinkommen 122 und Nachhaltigkeitsziel 8.5 zu unterstützen.
  • Neue Beschäftigungspolitiken sind notwendig, um den Auswirkungen neuer Technologien auf den Arbeitsmarkt Rechnung zu tragen (IAO-Übereinkommen 122) und jungen Menschen Arbeitsplätze zu bieten, die einem geringeren Automatisierungsrisiko unterliegen und ihren Interessen und Fähigkeiten entsprechen.
  • Es müssen Investitionen in die Berufsausbildung und Weiterqualifizierung junger Menschen erfolgen, um sie auf neue Arbeitsregelungen und veränderte Berufsbilder vorzubereiten, bei denen digitale Werkzeuge und neue Technologien eine zunehmende Rolle spielen, und sie dazu zu befähigen, im Rahmen eines effektiven Systems des lebenslangen Lernens neue technologische Kompetenzen zu erwerben.
  • Es sind Maßnahmen und Kampagnen erforderlich, um die gewerkschaftliche Mitgliederbasis auszubauen, angemessene Regulierungsvorschriften zu fordern und neue Modelle zu entwickeln, um die Ausbeutung in der Gig Economy zu beenden und gerechte Plattformen gemäß den Rahmengrundsätzen der ITF für Plattformbeschäftigung zu schaffen.
  • Junge Beschäftigte im informellen Sektor müssen dabei unterstützt werden, eine menschenwürdige und sichere Arbeit in der formellen Wirtschaft aufzunehmen, die ihnen Einkommenssicherheit bietet und grundlegende Menschen- und Arbeitnehmer*innenrechte (IAO-Empfehlung 204) gewährleistet.
  • Maßnahmen zur Beschäftigung und Weiterqualifizierung junger Menschen sowie Konjunkturpakete sollten die Integration der Grundsätze menschenwürdiger Arbeit und "grüner Arbeitsplätze" vorantreiben. Dies kann durch die effektive Verfolgung ökologischer Nachhaltigkeitsziele, die Förderung eines emissionsarmen Verkehrsmodells und die effektive Beteiligung am Kampf für einen gerechten Übergang in Reaktion auf den Klimawandel erreicht werden.
  • Für alle Beschäftigten, auch Wanderarbeitnehmer*innen, müssen sichere Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gelten, ihre Arbeitsrechte müssen durchgesetzt (Nachhaltigkeitsziel 8.8) und Verfahren zur Erteilung von Arbeitsgenehmigungen und Visabestimmungen verbessert werden.
  • Diskriminierung und Stigmatisierung müssen beseitigt werden. Covid-19 ist keine Rechtfertigung für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, und rassistische Klischees können sich sogar noch schneller ausbreiten als die Pandemie selbst. Regierungen, Institutionen und Unternehmen tragen die grundlegende Verantwortung dafür, dass ihre Politiken und Maßnahmen keine diskriminierenden Konnotationen in Bezug auf Migrationsstatus, Rasse und Nationalitäten enthalten.

Die aktive Beteiligung junger Beschäftigter an Entscheidungsprozessen zu Covid-19 und den Maßnahmen nach der Pandemie ist unerlässlich. Sie sind in solchen Prozessen oft unterrepräsentiert, obwohl ihre Einbindung wesentlich ist, um die bestehenden Probleme im Zusammenhang mit ihren Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen in Angriff zu nehmen. Die Rechte und Stimmen junger Arbeitnehmer*innen müssen bei allen politischen Forderungen und Reaktionen berücksichtigt werden, nicht nur im Hinblick auf die Entwicklung von Maßnahmen in Reaktion auf Covid-19, sondern vor allem beim Aufbau eines stärker belastbaren, gerechten und fairen Wirtschafts-, Produktions- und Sozialsystems.

Wir jungen Verkehrsbeschäftigten in der ITF werden dafür kämpfen, dass diese Veränderungen Wirklichkeit werden, und uns weiter für die Rechte der Arbeitnehmer*innen und einen Systemwechsel einsetzen. Gleichzeitig werden wir den gewerkschaftlichen Einfluss durch Organisierungskampagnen und globale Solidarität über alle Grenzen hinweg weiter stärken, diese verunsichernde Zeit gemeinsam überwinden und dafür sorgen, dass alle diese Forderungen gehört, aufgegriffen und in vollem Umfang erfüllt werden. Es geht um unsere Grundrechte und die Nachhaltigkeit unserer Gewerkschaftsbewegung, an der wir weiter festhalten. 

Unsere Arbeitsplätze, unsere Rechte, unsere Zukunft!
 

 

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