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Aktueller Branchenbericht zeigt: Luftverkehrsbranche nutzte die Pandemie für die Aushöhlung der Bedingungen von tausenden Beschäftigten

NACHRICHTEN 31 Aug 2022
  • Große Fluggesellschaften nahmen die Pandemie zum Vorwand, Beschäftigten Verträge mit schlechteren Bedingungen aufzuzwingen, so das Ergebnis einer jüngsten Untersuchung. 
  • Arbeitgeber wie Qantas, Ryanair und British Airways stehen in der Kritik, weil sie trotz staatlicher Hilfen in Höhe von 137 Mrd. US-Dollar überzogene Sparmaßnahmen durchführten.
  • Verschlechterte Beschäftigungsbedingungen haben zu Personalmangel geführt und das Vertrauen der Beschäftigten zerstört, so die Internationale Transportarbeiter-Föderation.  

Einem aktuellen Branchenbericht zufolge haben viele große Fluggesellschaften weltweit unter dem Deckmantel der Covid-19-Pandemie die grundlegenden Beschäftigungsbedingungen von hunderttausenden Beschäftigten ausgehöhlt. 

Wie in dem Bericht mit dem Titel "Employer Responses to Covid-19 In the Aviation Industry" festgestellt wird, machten Fluggesellschaften wie British Airways, Qantas und Lufthansa während der Pandemie neben einem massiven Stellenabbau von aggressiven Methoden Gebrauch, unter anderem "Fire and Rehire" und Outsourcing sowie unbezahlte Freistellung und Lohnstopp, um die Beschäftigten in minderwertige Beschäftigungsverträge zu drängen. 

Der von der Forschungsstelle der Internationale der Öffentlichen Dienste (PSIRU) und dem Centre for Research in Employment and Work (CREW) im Auftrag der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) an der Universität von Greenwich erstellte Bericht untersucht Strategien und Praktiken im Zeitraum von März 2020 bis Mai 2022. Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Fluggesellschaften mit diesen Ansätzen "Sturm geerntet haben", da sie nun, wo der Flugreiseverkehr wieder das vorpandemische Niveau erreicht, mit chronischem Personalmangel zu kämpfen haben. 

"Fire and Rehire" bedeutet, Angestellte zu entlassen (oder ihnen mit Entlassung zu drohen), um sie dann zu minderwertigen Verträgen wiedereinzustellen. Der Bericht nennt mehrere Fluggesellschaften, die dies als Druckmittel bei Verhandlungen einsetzten, um den Beschäftigten weitere Zugeständnisse bei Bedingungen und Bezahlung abzuverlangen. In Großbritannien stimmte die Gewerkschaft Unite einer vorübergehenden Lohnkürzung zu, um 1.800 Arbeitsplätze für das Kabinenpersonal bei Ryanair zu retten. In ähnlicher Weise setzte Wizzair mit der Drohung, eintausend Stellen abzubauen, Lohnkürzungen von 14 bis 22 Prozent durch. Dem Bericht zufolge drohte Qantas Flugbegleiter*innen mit einer Kündigung des Kollektivvertrags, wenn sie sich nicht mit einer Kürzung ihrer Gehälter einverstanden erklärten. 

In dem Bericht wurden 15 große Fluggesellschaften untersucht und ihre Strategien zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie bewertet, darunter Stellenstreichungen, staatliche Rettungspakete, Restrukturierungsmaßnahmen und die Auslagerung von Tätigkeitsbereichen.

Er kam zu dem Ergebnis, dass die Fluggesellschaften vom März 2020 bis März 2021 zusammengenommen etwa 137 Milliarden US-Dollar an staatlichen Rettungsgeldern eingestrichen haben. Die Autorin stellt jedoch fest, dass an diese staatliche Unterstützung häufig keine Auflagen geknüpft waren, also nicht verlangt wurde, die Unterstützung konkret für den Erhalt des Personals zu verwenden. 

Während der Pandemie beanspruchte Qantas staatliche Unterstützung in Höhe von 2 Milliarden australischen Dollar. Die Fluggesellschaft baute jedoch Arbeitsplätze ab und leitete Restrukturierungsmaßnahmen ein, die darauf abzielten, eine zunehmende gewerkschaftliche Organisierung einzudämmen, insbesondere bei den Bodenverkehrsdiensten. Sie lagerte 2.000 Arbeitsplätze im Bereich der Bodenverkehrsdienste aus, indem sie zuvor innerhalb des Unternehmens beschäftigte Angestellte zu externen Auftragnehmern transferierte, insbesondere zu Swissport.  

Auch British Airways erhielt 300 Millionen Pfund an staatlicher Hilfe über die britische Corporate Financing Facility, kündigte jedoch gleich zu Beginn der Pandemie an, 12.000 Stellen zu streichen. Im Jahr zuvor hatte die Fluggesellschaft Rekordgewinne in Höhe von 3,5 Milliarden US-Dollar verbucht. 

Der Bericht untersucht auch die aktuelle Personalkrise der Fluggesellschaften und bringt sie in direkten Zusammenhang mit ihren Praktiken während der Pandemie. Die Autorin stellt fest, dass Fluggesellschaften, die ihre Ausgaben auf ein Minimum reduziert hatten, nicht in der Lage waren, ihren Betrieb im Zuge der steigenden Nachfrage zum Jahresanfang 2022 wieder hochzufahren. 

In den letzten Monaten waren Reisende rund um den Globus aufgrund des Personalmangels mit Flugverspätungen und -annullierungen konfrontiert. Von Januar bis zum 4. August 2022 wurden fast 1,2 Millionen Flüge innerhalb von drei Wochen vor dem geplanten Abflug storniert.

Stephen Cotton, ITF-Generalsekretär: "Die Covid-19-Pandemie war ein beispielloser Schock für die Luftverkehrsbranche, bot aber Fluggesellschaften in der ganzen Welt einen willkommenen Vorwand, um Entlassungen vorzunehmen, Arbeitsverträge zu schwächen und Billigtöchter zu gründen – was viele von ihnen schon seit Jahrzehnten auf der Agenda hatten." 

"Jetzt erntet die Luftverkehrsbranche die Früchte der Entscheidungen, die sie während der Pandemie getroffen hat, um Profite über Menschen zu stellen. Während die Beschäftigten an vorderster Front verärgerte Reisende beschwichtigen und Berge von Gepäck sortieren, müssen die Spitzen der Fluggesellschaften, Flughäfen und Unternehmen entlang der Lieferkette mit Regierungen und Gewerkschaften zusammenarbeiten, um die Ursachen dieser Reisekrise an der Wurzel zu packen."

"Ohne nachhaltige koordinierte Maßnahmen, der gesamten Branche, die sowohl die aktuelle Krise als auch die Zukunftsfähigkeit des Luftverkehrssektors in den Blick nehmen, wird die Branche von einer Krise in die nächste stürzen. Wir appellieren an alle Akteure der Branche, damit aufzuhören, die Verantwortung von sich auf andere abzuwälzen, wie wir es in den letzten Monaten erlebt haben, und stattdessen ihren Fokus auf den Strukturwandel zu richten, der notwendig ist, um den Luftverkehrssektor wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltig zu machen."

Dr. Kyla Sankey, Autorin des Berichts: "Staatliche Rettungspakete können wirtschaftsstrategischen Sektoren, wie dem Luftverkehr, bei einer Krise lebenswichtige Unterstützung bieten. Doch wie die Pandemie gezeigt hat, lautet die entscheidende Frage für die Beschäftigten, ob diese Unterstützung mit Auflagen verbunden ist.

"Die Erfahrungen mit dem 'CARES Act' in den Vereinigten Staaten zeigt, wie Gewerkschaften die Zielsetzungen der Konjunktur- und Hilfspakete mitgestalten können, indem von den Unternehmen verlangt wird, dass sie Vorstandsgehälter kürzen, ihre Belegschaften erhalten, Outsourcing vermeiden und sich auf Kollektivverhandlungen einlassen."

"Anstatt den Wettlauf nach unten zu fördern, müssen staatliche Beihilfen an Auflagen geknüpft werden, die sicherstellen, dass sie produktiv investiert werden, und sozialen und ökologischen Zielen anstelle von Partikularinteressen dienen. Diese Auflagen können beinhalten, dass die Unternehmen die Löhne und Beschäftigungsbedingungen der Beschäftigten schützen, Klimaziele festlegen und Kollektivverhandlungen führen." 

Hinweis für Redaktionen: 

Der vollständige Bericht 'Employer Responses to Covid-19 In the Aviation Industry' kann hier abgerufen werden. 

Von großen Fluggesellschaften angekündigter Stellenabbau nach Größe der Fluggesellschaft (März - Dezember 2020)

Überblick über umgesetzte Kostensenkungsmaßnahmen zur Vermeidung von Entlassungen bei ausgewählten Luftverkehrsunternehmen (März - Dezember 2020)

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