Skip to main content

Gerechter Übergang durch Kollektivverhandlungen: Lektionen aus Chile

NACHRICHTEN 11 Nov 2022

Vor dem Hintergrund der Zusammenkunft führender Vertreter*innen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zur COP27 in Ägypten beschreibt ITF-Projektkoordinator Bruno Dobrusin einen beispielhaften Ansatz für die Gewährleistung eines gerechten Übergangs in Santiago (Chile).

Erstmals hat eine Gewerkschaft in Chile die Einbeziehung von Klauseln für einen gerechten Übergang in ihre Kollektivverhandlungen durchgesetzt. Alles begann im Jahr 2021, als der Verband der U-Bahn-Gewerkschaften (FESIMETRO) eine Zusammenarbeit mit der ITF einging und ein Konzept für einen gerechten Übergang für Beschäftigte bei den U-Bahnen auf den Weg brachte. Die Beschäftigten hatten die Auswirkungen des Klimawandels und die Einführung neuer Technologien an ihrem Arbeitsplatz erfahren, aber nie die Gelegenheit, darüber zu diskutieren, sich in globale Debatten über einen gerechten Übergang einzuschalten und diesen letztendlich auf lokaler Ebene umzusetzen.

Die Gewerkschaft, die über 1.500 Beschäftigte bei der U-Bahn-System in Santiago vertritt, leitete einen Konsultationsprozess mit ihren eigenen Mitgliedern ein und koordinierte sich parallel dazu mit anderen Gewerkschaften im öffentlichen Verkehrssektor, die Beschäftigte bei verschiedenen Verkehrsträgern (Busse, Taxis, Motorradtaxis) organisieren. Ziel war es, eine Strategie für einen gerechten Übergang anzudenken, die den Bedürfnissen der unterschiedlichen Beschäftigtengruppen im öffentlichen Verkehr Rechnung trägt, und eine kollektive Antwort zu koordinieren.

Je mehr sich die Konsultationen und Diskussionen mit den Mitgliedern ausweiteten, umso klarer wurde es, dass die Einführung neuer Technologien, die das U-Bahn-System effizienter und umweltverträglicher machen sollten, für die Beschäftigten nachteilig war. Die Technologien selbst mochten sich zwar positiv auf die Gesundheit der Beschäftigten und bisweilen auch die allgemeinen Arbeitsbedingungen auswirken, aber die ausbleibenden Konsultationen, die überstürzte Einführung und die unzureichende Planung führten dazu, dass die Beschäftigten und die Gewerkschaft nicht aktiv einbezogen wurden und oft keine Zeit hatten, eine umfassende Antwort zu entwickeln.

Als im Mai 2022 die neue Kollektivverhandlungsrunde begann, beschloss Sindicato Metro, die größte der im Verband zusammengeschlossenen U-Bahn-Gewerkschaften, das Thema Klimawandel und gerechter Übergang zum Kernpunkt der Verhandlungen zu machen. Darauf folgte ein langer Prozess interner Konsultationen mit Mitgliedern, um die Anliegen und Probleme zu verstehen und sicherzustellen, dass damit genügend Druck auf den Arbeitgeber aufgebaut werden könnte, um sie zum Thema von Verhandlungen zu machen.

Nach zwei Monaten intensiver Verhandlungen gaben die Gewerkschaft und der Arbeitgeber im Juli 2022 bekannt, dass sie sich auf einen neuen Kollektivvertrag geeinigt hatten, der erstmals in der Geschichte der U-Bahn Klauseln für einen gerechten Übergang enthielt. Die Klauseln werden durch einen Abschnitt eingeleitet, der den Klimawandel als wichtiges Anliegen der Beschäftigten und der gesamten U-Bahn in den Mittelpunkt stellt. Darin wird anerkannt, dass die Klimakrise Auswirkungen auf den Betrieb und die Beschäftigungsbedingungen haben wird, zu deren Bewältigung die Arbeitgeber mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten müssen.

Mit dem Vertrag wird ein zweigliedriger Beratungsausschuss für einen gerechten Übergang eingeführt, in dem Beschäftigte und Arbeitgeber vertreten sind und der bei jeder wichtigen Einführung neuer Technologien und Produktionsprozesse konsultiert wird. Er fungiert als Beratungsgremium, wo die Beschäftigten Bedenken und Probleme bezüglich der Einführung neuer Technologien zur Sprache bringen und eigene Vorschläge einbringen können, die vom Unternehmen zu prüfen sind.

Während ursprünglich das Thema Technologien im Fokus des Vertrags stand, eröffnet er nun auch die Möglichkeit, andere klimarelevante Themen im Rahmen des U-Bahn-Betriebs anzugehen – was ihn zum ersten Vertrag dieser Art im Land (und möglicherweise der gesamten Region) macht. Er schreibt außerdem eine geschlechterparitätische Besetzung des Ausschusses vor.

Diese Art von radikalen, praktischen Veränderungen brauchen wir, damit in allen Verkehrsbereichen ein gerechter Übergang Realität wird.

 

VOR ORT