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Die schmutzigen Geschäfte eines Hafenmultis: Hafengewerkschaft droht der Konkurs

NACHRICHTEN 30 Jan 2020

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der US-amerikanischen Monatszeitschrift In These Times.


Die International Longshore and Warehouse Union (ILWU) befindet sich gerade in einer existenziellen Krise.

Gegründet von der militanten Gewerkschaftsikone Harry Bridges hat sich die ILWU einen Namen als wehrhafte Gewerkschaft der Hafenbeschäftigten an der US-amerikanischen Westküste gemacht, die sich mit Arbeitsniederlegungen und anderen Taktiken für den Schutz von Arbeitsplätzen und Sozialleistungen, aber auch gegen Krieg und Rassismus engagiert.

Ein Bundesgeschworenengericht in Portland, Oregon, verhängte im November eine Geldstrafe über 93,6 Millionen Dollar gegen die Gewerkschaft zugunsten der amerikanischen Tochter des philippinischen Hafenunternehmens International Container Terminal Services (ICTSI), der früheren Betreiberin des Terminals in Portland. Die Vorgeschichte ist kompliziert und dreht sich um die Tarifhoheit von Gewerkschaften. Im Jahr 2012 startete die örtliche Geschäftsstelle der ILWU eine Serie von Bummelstreiks im Zusammenhang mit zwei Berufsgruppen, die im Umschlag von Kühlcontainern (sowie der Bedienung der dafür erforderlichen elektrischen Geräte) tätig sind und nach Meinung der Gewerkschaft fälschlicherweise aus dem Kollektivvertrag der ILWU ausgenommen wurden. Stattdessen wurden diese beiden Hafenberufe von der International Brotherhood of Electrical Workers (IBEW) vertreten. ICTSI verklagte die ILWU mit der Begründung, der Arbeitskampf stelle einen illegalen indirekten Boykott dar und der jahrelange Kampf gegen die Gewerkschaft habe das Unternehmen finanziell in Mitleidenschaft gezogen. Die Geschworenen gaben ICTSI Recht.

Die ILWU verfügt nach den jüngsten beim Arbeitsministeriums eingereichten Zahlen über ein Vermögen von 8 Millionen US-Dollar (die vom Rechtsstreit betroffene ILWU-Geschäftsstelle 8 hat laut Eintragung beim Arbeitsministerium ein Gesamtvermögen von 386.000 US-Dollar). Es liegt auf der Hand, dass der Gewerkschaft der Bankrott droht, falls der Richter bei den bevorstehenden Verhandlungen im Februar an der Strafe festhält.

Einige offizielle Vertreter*innen der Gewerkschaft sagen zwar, dass dies nicht zwangsläufig das Ende der Gewerkschaft bedeuten würde, aber ihre Restrukturierung würde mit großer Wahrscheinlichkeit ihre Fähigkeit einschränken, die Vertretung und Organisierung der Beschäftigten weiter wie gehabt zu leisten. Willie Adams, der Präsident der Gewerkschaft, erklärte in einer Stellungnahme in der Gewerkschaftszeitschrift Dispatcher: "Wir hoffen, dass das Gericht das Urteil revidiert und zu einem anderen Ergebnis kommt – einem, das gerechter ist und der Beweislage eher entspricht. Falls nicht, besteht die Möglichkeit, dass wir bei einem Bundeskonkursgericht einen Insolvenzantrag stellen, um unsere Finanzen unter gerichtlichem Schutz neu zu ordnen. Das will zwar niemand, ist aber vielleicht der beste Weg, um die ILWU zu schützen und es uns zu ermöglichen, so schnell wie möglich wieder eine solide finanzielle Grundlage herzustellen."

In maritimen Gewerkschaftskreisen ruft das Verhalten von ICTSI in diesem Fall Stirnrunzeln hervor. Das Unternehmen ist einer der berüchtigtsten Hafenbetreiber der Branche, der aus Kriegen, Elend und Ausbeutung Profit schlägt. Dass ICTSI es nun darauf anlegt, eine Gewerkschaft zu zerschlagen, steht im Einklang mit dem beunruhigenden Ruf, den das Unternehmen sich durch die Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten in aller Welt geschaffen hat– und dadurch, dass es niedrige Löhne und schlechte Beschäftigungsbedingungen zugunsten der eigenen Gewinne ausnutzt.

Weltweite Verletzung von Arbeitsrechten

Das Unternehmen ist weltweit mit Anklagen wegen Arbeitsrechtsverstößen konfrontiert und hat dadurch traurige Berühmtheit erlangt. Schon im Jahr 2017 intervenierte die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF), der globale Verband der Verkehrsgewerkschaften, in einem Fall, wo sich die ICSTI als Betreiber des Hafens von Tanjung Priok in der indonesischen Hauptstadt Jakarta der ihrer Meinung nach eklatanten Unterschreitung von Arbeitsnormen schuldig machte. Konkret warfen die Gewerkschaftsaktivist*innen ICTSI vor, den Beschäftigten im Terminal 15 Prozent weniger zu zahlen als andere Hafenbetreiber in der Umgebung. Die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) beschuldigte das Unternehmen ferner, gegen indonesisches Arbeitsrecht verstoßen zu haben, indem es entgegen der Anordnungen der Regierung Arbeitskräfte auslagerte und sich der Auszahlung von Überstundenvergütungen entzog. Der indonesische Spitzengewerkschafter Didik Noryanto erklärte damals: "Die Beschäftigten im Hafen von ICSTI erwarten von der indonesischen Regierung, Führungsstärke zu zeigen und einzuschreiten, um ihre grundlegender Menschenrechte zu verteidigen, da ICTSI einen aggressiven Feldzug führt, um ihre Löhne und Bedingungen nach unten zu drücken."

Die Maritime Union of Australia (MUA) führte daraufhin Ende 2017 eine mehrwöchige Blockade der von ICSTI betriebenen Terminals im Hafen von Melbourne durch, die sie vor allem damit begründete, dass ein Unternehmen, das in der ITF einen derart schlechten Ruf genieße, in Australien nichts verloren habe. Dazu sagte damals Paddy Crumlin, der Vorsitzende der ITF-Sektion Häfen: "Alle kennen die destruktiven Methoden von ICTSI und werden sie nicht länger hinnehmen."

Crumlin bezeichnete die Schurkenpraktiken von ICTSI als "Krebsgeschwür", das sich in der ganzen Welt ausbreite. Im selben Jahr deckte die britische Tageszeitung The Guardian gewerkschaftsfeindliche Maßnahmen und Unterbezahlung im wichtigsten Hafen von Madagaskar auf, der ebenfalls von ICTSI betrieben wird. Auch dieses Drama fand seine Fortsetzung in Australien, wo ICTSI seine Präsenz ausbauen wollte. Im Jahr 2018 verlangte die ITF eine Untersuchung gegen das Unternehmen, nachdem es den Zuschlag für den Betrieb des Webb Dock-Terminals im Hafen von Melbourne erhalten hatte. Gegenüber den ICTSI-Aktionären erhob sie ferner Kritik an den gewerkschaftsfeindlichen Praktiken des Unternehmens in Madagaskar und appellierte an sie, zwei Vorstandsmitglieder abzuwählen, die ihre Vorstandspflicht nicht erfüllt hätten, beispielsweise in ICTSI-Niederlassungen in Madagaskar. Dort führten nach Informationen des Handelsblatts The Maritime Executive Streiks und Proteste von Spediteuren der ITF zufolge zu Verzögerungen, wodurch einige Schiffe dem Vernehmen nach wochenlang vor Anker lagen und nicht im Hafen anlegen konnten.

Profit aus Elend

Um aber den Ruf von ICTSI als Schurkenakteur in der Welt des Hafenbetriebs ganz zu verstehen, muss man sich das Geschäftsmodell des Unternehmens genauer ansehen, das wirtschaftliches Elend und das vollständige Fehlen jeglicher demokratischen Staatsführung zum eigenen unternehmerischen Vorteil nutzt. Und um dieses Geschäftsmodell zu durchschauen, muss man seinen Vorsitzenden und Präsidenten Enrique Razon durchschauen. 

Razon ist einer der reichsten Staatsbürger der Philippinen mit einem geschätzten Nettovermögen von über 5 Milliarden US-Dollar und Spross einer Hafenbetreiber-Dynastie. Sein Großvater kam aus Spanien nach Manila, um dort deren ersten Hafen zu gründen. Darauf hat Razon sein Vermögen – und seinen schlechten Ruf – aufgebaut, vor allem indem er in Länder vordrang, die aus menschenrechtlicher Sicht so missliebig sind, dass er keine Bieterkriege mit Konkurrenten ausfechten musste und sich selbst ein Beinahe-Monopol schaffen konnte. So erklärte er im Jahr 2015 gegenüber Investor*innen: "Ich bin sehr zuversichtlich, was den Iran, Kongo und Kambodscha angeht... Man kann sagen, dass heutige Investitionen an üblen Standorten sich mit der Zeit durch fehlenden Wettbewerb auszahlen."

Besonders gerne gründet Razon Niederlassungen in Subsahara-Afrika, wo er in Madagaskar bereits gewerkschaftsfeindlicher Praktiken beschuldigt wird. Razon betonte insbesondere, dass das verzweifelte Streben nach Infrastruktur es ihm ermögliche, höhere Preise zu verlangen. Dem Wall Street Journal erklärte er im Jahr 2014:"Fazit: Dort lassen sich durch die hohen Erträge im Umschlagsgeschäft die höchsten Umsätze erzielen. In unserem Terminal in Yantai [China] berechnen wir für den Umschlag eines Containers etwa 45 bis 50 Dollar. Für denselben Container können wir in Afrika leicht 200 bis 250 Dollar verlangen."

In einer im August 2018 herausgegebenen Erklärung brachte es Crumlin auf den Punkt: "Das Geschäftsmodell beruht darauf, bewusst Ländern den Vorrang zu geben, in denen Menschen- und Arbeitsrechte am leichtesten zu unterlaufen sind, und sich einige der schlimmsten antidemokratischen Regimes zu Partnern zu machen, die in Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwickelt sind."

Doch die vielleicht interessantesten Geschäfte betreibt ICTSI in der Demokratischen Republik Kongo. Angesichts der relativ schlechten Schienen- und asphaltierten Verkehrsinfrastruktur ist der Kongo im flächenmäßig zweitgrößten Land Afrikas der wichtigste Transportweg. Im vergangenen Dezember kündigte das Unternehmen an, in seinem Hafenbetrieb in Matadi, wo es die Mehrheit an der Hafengesellschaft hält, 100 Millionen US-Dollar für die Verdopplung der Containerkapazität auszugeben. Die staatliche Société Congolaise des Transports et des Ports ist mit zehn Prozent an dieser Gesellschaft beteiligt. Für die ITF bedeutet das, dass ICTSI nicht nur mit einem korrupten Regime Geschäfte treibt, sondern untrennbar mit der Regierung von Präsident Joseph Kabila verbunden ist, die die Föderation auf ihrer Website ICTSI Exposed als eine der schlimmsten Kleptokratien der Welt bezeichnet.

Heute gehören zum Geschäftsimperium von Razon auch Spielcasinos, ein Geschäftszweig, den er scherzhaft seinen "Nachtjob" nennt. Im Jahr 2016 erbeuteten Cyberdiebe 81 Millionen US-Dollar vom Konto der Zentralbank von Bangladesch bei der amerikanischen Federal Reserve Bank of New York. Davon landeten 29 Millionen Dollar auf einem Konto von Solaire, einer Casino-Tochter von Razon. Razon beteuerte, der Skandal schade dem Ruf seines Unternehmens nur wenig.

Der Widerstand der australischen Arbeitnehmerschaft gegen ICTSI als Hafenbetreiber beruhte auf Befürchtungen, dass das Unternehmen – im Bestreben, seine Präsenz weltweit auszubauen – Arbeitsnormen zum Nachteil der Hafenbeschäftigten aushöhlen würde. Die australischen Gewerkschaften waren zu Recht beunruhigt: Die wirtschaftliche Liberalisierung führt zu einer Schwächung der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften und rückläufigen Mitgliederzahlen in Australien. So war die MUA im Zusammenhang mit einer Arbeitsniederlegung, die auch Transportgüter von Chevron betraf, mit einem ähnlich verheerenden Rechtsstreit konfrontiert wie jetzt die ILWU. Die MUA fusionierte schließlich mit einer anderen Gewerkschaft.

Verunsicherung der Gewerkschaftsbewegung

ICTSI hat inzwischen den Betrieb des Terminals in Portland eingestellt. Aber sofern der Richter in der Rechtssache ILWU nicht entscheidet, das Verfahren wieder aufzurollen oder einem Berufungsantrag stattzugeben, wird die Präsenz des Unternehmens in Portland der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung im maritimen Sektor für immer einen Stempel aufdrücken und Verkehrsgewerkschaften in aller Welt verunsichern.

Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Kampagne der ILWU im Terminal von Portland möglicherweise unklug war. Der dortige Konflikt entzündete sich an der Tatsache, dass die fraglichen Berufsgruppen mit dem elektrischen Betrieb von Kühlcontainern zu tun hatten. Die International Brotherhood of Electrical Workers behauptete also zu Recht, dass diese Berufsgruppen in ihre Zuständigkeit fallen. ICTSI hatte argumentiert, dass es sich bei den Maßnahmen der ILWU gegen die ICTSI als Hafenbetreiber in einem Konflikt, bei dem es letztendlich um die Tarifhoheit ging, um einen indirekten Boykott handele. Hat die ILWU wirklich ihre Zeit und Energie sinnvoll eingesetzt, indem sie um einige wenige Beschäftigte kämpfte, die letzten Endes doch sicher eine Form gewerkschaftlicher Vertretung haben würden? Im Nachhinein betrachtet sicher nicht.

Es ist nicht klar, ob mit ICTSI in Verbindung stehende Unternehmen in Häfen der USA tätig sind oder planen, sich in naher Zukunft im Wettbewerb um Investitionschancen in US-Häfen zu engagieren. Das Unternehmen hat auf eine entsprechende Anfrage nicht geantwortet. Doch aus diesem Debakel wird deutlich, dass Arbeitgeber bereit und gewillt sind, sich das Verbot indirekter Boykotts gegen Gewerkschaften zunutze zu machen, um sie in ihrer Tätigkeit lahmzulegen. Die Arbeitgeber haben den Geschworenenspruch freudig begrüßt und erklärt, dass er der Gewerkschaft und den Hafenbeschäftigten an ihrer Basis klare Kante zeigt.

"Es erinnert an das 'Gilded Age' Ende des 19. Jahrhunderts in den USA, als Unternehmen sich unternehmerfreundlicher Gerichte bedienten, um Gewerkschaften in den Konkurs zu treiben und zu zerschlagen," so James Gregory, ein Historiker mit Schwerpunkt Arbeitsforschung an der University of Washington. "Noch gravierender ist jedoch, dass die Existenz einer Gewerkschaft bedroht ist, die lange Zeit als Modell für fortschrittliche Politik und demokratische Governance galt, eine Gewerkschaft, die sich weltweit für die Rechte der Beschäftigten einsetzt und seit 1934 erfolgreich jede Herausforderung gemeistert hat. Wenn die Gerichte wieder Urteile fällen, die Gewerkschaften in den Bankrott treiben, ist keine Gewerkschaft sicher und auch nicht die Rechte am Arbeitsplatz, auf die wir alle – ob Gewerkschaftsmitglied oder nicht – angewiesen sind."

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